Die Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz koordiniert einen von 14 Forschungsverbünden, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zur Förderung ausgewählt hat, um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der DDR und dem SED-Unrecht zu stärken. Im Verbundprojekt „DDR-PSYCH“ werden die Wissenschaftler voraussichtlich ab Februar 2019 sowohl systembedingte Risikofaktoren für die psychische Gesundheit als auch Resilienz fördernde Faktoren untersuchen. Die gewonnenen wissenschaftlichen Ergebnisse sollen präzisere Aussagen zu Ursachen- und Wirkzusammenhängen von Risiko- und Schutzfaktoren der DDR-Vergangenheit auf die psychische Gesundheit ermöglichen.
Die ehemalige Deutsche Demokratische Republik (DDR) und ihr gesellschaftlich-politisches System bleiben auch nach mehr als einem Vierteljahrhundert vereintes Deutschland ein wesentlicher Bezugspunkt für die Analyse von Prozessen, die auf gesellschaftlicher, sozialer und individueller Ebene ablaufen – und zwar sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern. In der Wissenschaft und der Bevölkerung bestehen allerdings Wissenslücken über die DDR. Um diese zu schließen und die Auseinandersetzung mit der DDR und dem SED-Unrecht zu forcieren, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in den nächsten vier Jahren 14 Forschungsverbünde mit insgesamt bis zu 40 Millionen Euro.
Zu den vom BMBF zur Förderung ausgewählten Projekten zählt auch der Verbund „DDR-Vergangenheit und psychische Gesundheit: Risiko- und Schutzfaktoren (DDR-PSYCH)“. Die beabsichtigte Fördersumme beträgt voraussichtlich rund 3,8 Millionen Euro. In dem aus fünf Forschungseinrichtungen bestehenden Verbund untersuchen die beteiligten Wissenschaftler, wie sich die Existenz der DDR auf die psychische Gesundheit der dort sozialisierten Menschen unterschiedlich auswirkt hat. Denn obgleich seit der deutschen Wiedervereinigung bereits eine neue gesamtdeutsche Generation herangewachsen ist, existieren auch heute noch getrennte Erinnerungskulturen in Ost und West. Unter der Leitung und Koordination von Prof. Dr. Elmar Brähler, Univ.-Prof. Dr. Manfred Beutel und Dr. Ana Nanette Tibubos von der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz widmen sich die Forscher insbesondere folgenden Fragen: Welche Erinnerungen an die DDR-Vergangenheit wirken sich relevant auf die psychische Gesundheit aus und in wie weit sind diese messbar? Welche entsprechenden Risiko- und Schutzfaktoren lassen sich bei den in der ehemaligen DDR sozialisierten Menschen identifizieren? Welche Faktoren bedingen die gefundenen Ost-West-Unterschiede?
Das Ziel der Studie besteht darin, präzisere Aussagen zu Ursachen- und Wirkzusammenhängen von Risiko- und Schutzfaktoren der DDR-Vergangenheit auf die psychische Gesundheit treffen zu können. Die erzielten Forschungsergebnisse sollen anschließend in die Gesellschaft getragen und dort diskutiert werden. Um dieses Kernziel zu erreichen, beinhaltet das Forschungsprojekt DDR-PSYCH auch die Entwicklung eines Online-Angebotes, das die Forschungsergebnisse durch Videoclips veranschaulicht: Eine sogenannte „living history“-website zeigt von Schauspielern dargestellte individuelle Schicksale.
„Fehlende Meinungsfreiheit, der Umgang mit Flüchtlingen oder politisch nichtkonformen Bürgern, Berufs- und Studienverbote, mangelnde Reisefreiheit – zweifellos waren die DDR-Bürger mit psychisch belastenden Rahmenbedingungen konfrontiert“, erklärt Klinikdirektor Univ.-Prof. Dr. Manfred Beutel. Gleichwohl, so betont er, sind die Befunde zu den Unterschieden in der Prävalenz psychischer Erkrankungen in den alten und den neuen Bundesländern widersprüchlich. Daher wollen die Wissenschaftler nicht nur systembedingte Risikofaktoren, sondern auch Resilienz fördernde Faktoren beleuchten. „Die Erforschung von gesellschaftspolitischen Faktoren in der DDR, die möglicherweise nachhaltig zur individuellen psychischen Resilienzförderung beigetragen haben könnten, fand bislang wenig Beachtung. Exemplarisch sei beispielsweise die Geschlechterpolitik genannt: Sie hat den Erwerbsverlauf von Frauen meist positiv beeinflusst. Wir gehen bei der DDR-PSYCH-Studie daher nicht davon aus, dass sich die Strukturen der DDR ausschließlich negativ auf die Psyche ihrer Bürger auswirkt haben. Damit haben wir ganz bewusst eine Ausgangshypothese gewählt, die gegensätzlich zu den verbreiteten Annahmen und explizit defizitorientierten Modellen ist.“
„In unserem Forschungsverbund werden zum ersten Mal an Hand profunder Längsschnittdatensätze Auswirkungen von DDR-spezifischen Erfahrungen wie beispielsweise Opposition und Widerstand, Haft oder Enteignungen auf psychisches Befinden im zeitlichen Verlauf untersucht. Es gilt, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der psychischen Gesundheit von Ost- und Westdeutschen herauszuarbeiten. Für diesen Zweck werten wir gemeinsame und übergreifende Analysen von fünf Bevölkerungsstudien aus, die große Stichproben zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben haben. Ziel ist es, mehr über gesellschaftlich bedingte Einflüsse der DDR auf die psychische Gesundheit zu erfahren“, konkretisiert Professor Brähler das Forschungsprojekt. „Mit einer zusätzlichen Repräsentativerhebung wollen wir zudem gezielt die psychische Gesundheit der Binnenmigranten untersuchen, die zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen dem Osten und Westen Deutschlands umgezogen sind.“
Dr. Ana Nanette Tibubos, ebenfalls von der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, ergänzt erläuternd: „Es existieren bereits zahlreiche, auf qualitativen Daten basierende Publikationen zu den Auswirkungen der DDR. Deshalb haben wir den Schwerpunkt unseres Projekts gezielt auf das bislang unzureichend beforschte Gebiet der Messbarkeit der Auswirkungen der DDR auf die psychische Gesundheit gelegt. Unser Projekt umfasst das Sozio-ökonomische Panel (SOEP), Gesundheitsstudien des Robert-Koch-Instituts (RKI), Repräsentativbefragungen des Unabhängigen Services für Umfragen, Methoden und Analysen (USUMA) im Auftrag der Universität Leipzig und die Gutenberg-Gesundheits-Studie (GHS) der Universitätsmedizin Mainz. Das Stichprobenalter 14 bis 99 Jahre deckt verschiedene Generationen ab und umfasst das gesamte Spektrum von Adoleszenz- und Erwachsenenalter. Insgesamt liegen etwa 83.000 Fälle für Längsschnittanalysen und 67.000 für Querschnittsanalysen vor.“
Im Verbundprojekt „DDR-Vergangenheit und psychische Gesundheit: Risiko- und Schutzfaktoren (DDR-PSYCH)“ forschen Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz (Koordinator und Antragsteller) zusammen mit Teams vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW Berlin), der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), dem Berliner Robert Koch-Institut (RKI) und der Universitätsmedizin Greifswald. Der Start der Projekte ist für Februar 2019 geplant.
Bildunterschrift: Fragment der Berliner Mauer in Mainz an der Auffahrt zur Theodor-Heuss-Brücke; Bildquelle: https://www.flickr.com/photos/hen-magonza/9553868519/in/photostream/lightbox/
Kontakt:
Fragen zum Projekt:
Tel. 06131 / 17 7381, Fax 06131 / 17 5563, E-Mail: sekretariate-pt@unimedizin-mainz.de
Univ. Prof. Dr. Manfred Beutel,
Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz,
Tel. 06131 / 17 3540, Fax 06131 / 17 6688, E-Mail: manfred.beutel@unimedizin-mainz.de
Pressekontakt:
Barbara Reinke, Stabsstelle Unternehmenskommunikation, Universitätsmedizin Mainz,
Tel. 06131 / 17 7428, Fax 06131 / 17 3496, E-Mail: pr@unimedizin-mainz.de
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.400 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz ausgebildet. Mit rund 7.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de