Wenn bei Kindern die Entwicklung von neuronalen Vorläuferzellen gestört ist, dann kann das zu Neuroblastomen führen. Dabei handelt es sich um eine bösartige Krebserkrankung des sympathischen Nervensystems. Wie dieser Mechanismus der Zelldifferenzierung funktioniert, konnten Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz gemeinsam mit Kollegen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) jetzt zeigen. Dabei haben sie auch ein zentrales Proteinmolekül identifiziert, das die neuronale Entwicklung beziehungsweise das Differenzierungsprogramm kontrolliert: PCF11. Ferner fanden sie heraus, dass die Höhe des PCF11-Proteinspiegels den Rückschluss zulässt, wie sich der Verlauf der Neuroblastom-Erkrankung entwickelt. Insofern hat PCF11 bedeutendes diagnostisches und auch therapeutisches Potential. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit wurden in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Neuroblastome zählen zu den Krebserkrankungen des Nervensystems. Meist betreffend sie Kleinkinder bis zum sechsten Lebensjahr. Sie entstehen aus entarteten, beziehungsweise unreifen embryonalen Zellen des sympathischen Nervensystems, das bestimmte Funktionen, wie Herz- und Kreislauf sowie Darm- und Blasentätigkeit steuert. Hierzulande ist das Neuroblastom der häufigste solide Tumor bei Kleinkindern und für etwa 15% aller Krebstodesfälle bei Kindern insgesamt verantwortlich. Zwar war bislang bekannt, dass diese Tumoren aufgrund von fehlregulierten neuronalen Entwicklungen entstehen. Doch erst mit dem jetzt entdeckten Schlüsselregulator, PCF11, ist klar, wie es zu diesen Fehlentwicklungen im Differenzierungsprogramm kommt.
Zu ihren Forschungserkenntnissen gelangten die Forscher unter Leitung von Prof. Dr. Sven Danckwardt vom Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin-Zentrallabor der Universitätsmedizin Mainz, indem sie ein Zellkulturmodell eines Neuroblastoms untersuchten. Sie stellten fest, dass PCF11 in der Embryonalphase maßgeblich die Architektur und Diversifizierung am sogenannten Transkriptom 3´Ende reguliert. Somit stellt PCF11 ein zentrales Molekül dar. Das Transkriptom umfasst die Summe aller zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle transkribierten Gene, das heißt diese werden von der DNA in RNA umgeschrieben. Die Forscher konnten zeigen, dass PCF11 ein Netzwerk an Transkripten reguliert, das die neuronale Differenzierung kontrolliert.
„Im Zuge unserer Forschung konnten wir nachweisen, dass PCF11 während der Embryonalentwicklung herunterreguliert wird. Dies ist essentiell für eine normale, neuronale Entwicklung. Bleibt PCF11 hoch, dann wird das neuronale Differenzierungsprogramm angehalten. Dies hat den Effekt, dass Tumorzellen aus entsprechenden neuronalen Vorläuferzellen entstehen“, sagt Professor Danckwardt.
Diese Erkenntnis birgt Potential: Zum einen lässt sich durch das Herunterregulieren von PCF11 ein therapeutischer Nutzen erzielen indem es dazu beiträgt, die neuronale Differenzierung zu vollenden. Zum anderen konnten Danckwardt und sein Team nachweisen, dass die PCF11-vermittelte Differenzierung über einen Schlüsselregulator in der Signaltransduktion erfolgt (GNB1) und sich dieser im Prinzip relativ einfach therapeutisch manipulieren lässt. Im Kern eignet sich PCF11 aber vor allem auch als Biomarker für die prognostische Abschätzung des Neuroblastoms. So gibt die Höhe des Proteinspiegels Auskunft darüber, wie der Verlauf der Erkrankung ist: Ein hoher PCF11-Spiegel bedeutet ungehemmte embryonale Proliferation, Invasion und Tumorstreuung, was zum Tode führt. Bei einem niedrigen PCF11-Spiegel ist hingegen eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine komplette spontane Tumorregression gegeben, was eine exzellente Prognose darstellt.
„Dieser Marker scheint besser zu sein als alle anderen Marker, die bisher bei Kindern zur Anwendung kommen“, ist Professor Danckwardt überzeugt. „Vor diesem Hintergrund ist es unser Ziel, PCF11 und die durch PCF11 regulierten Transkriptomsignaturen zeitnah als Diagnostikum nutzbar zu machen, um den Verlauf der Erkankung besser vorherzusagen.“
Zudem tragen die Wissenschaftler mit ihren Erkenntnissen zu PCF11 zu der Aufklärung des bislang ungeklärten Phänomens der sogenannten spontanen Tumorregression bei. Es handelt sich dabei um einen bei jünger als zwölf Monate alten Patienten vorkommenden Effekt, bei dem Tumoren spontan und komplett verschwinden.
„Darüber hinaus sind die hier gewonnen Erkenntisse wahrscheinlich hoch-relevant für zahlreiche andere Krankheitsprozesse, wie beispielsweise die Fehlregulation der Blutgerinnung im Rahmen kardiovaskulärer Erkrankungen oder auch der Infektabwehr, da rund 70 Prozent der menschlichen Gene analog reguliert werden“, so Professor Danckwardt. „Mit der Veröffentlichung unseres Beitrages haben wir uns daher auch entschieden eine interaktive Datenbank im Internet freizuschalten. Diese erlaubt es, sich einen transkriptomweiten Überblick über die Fehlregulation von zentralen zellulären Prozessen zu verschaffen, wenn die Organisation der Transkriptomarchitektur schief läuft und schlußendlich krank macht“.
Originalpublikation:
Transcriptome 3'end organization by PCF11 links alternative polyadenylation to formation and neuronal differentiation of neuroblastoma. Ogorodnikov A, Levin M, Tattikota S, Tokalov S, Hoque M, Scherzinger D, Marini F, Poetsch A, Binder H, Macher-Göppinger S, Probst HC, Tian B, Schaefer M, Lackner KJ, Westermann F, Danckwardt S. Nat Commun. 2018 Dec 14;9(1):5331. DOI: 10.1038/s41467-018-07580-5.
Datenbank TREND-DB: shiny.imbei.uni-mainz.de/trend-db/
Bildunterzeile: Neuroblastomtumorzellen vor (links) und nach (rechts) Herunterregulation von PCF11 (der Originalpublikation entnommen)
Verwendung des Fotos kostenfrei unter Angabe der Quelle: AG Danckwardt
Kontakt
Prof. Dr. med. Sven Danckwardt
Institut für Klinische Chemie und
Laboratoriumsmedizin- Zentrallabor
Centrum für Thrombose und Hämostase (CTH)
Universitätsmedizin Mainz
Telefon 06131 17-2632
E-Mail: Sven.Danckwardt@unimedizin-mainz.de
Pressekontakt
Oliver Kreft, Unternehmenskommunikation, Universitätsmedizin Mainz, Telefon 06131 17-7424, Fax 06131 17-3496, E-Mail: pr@unimedizin-mainz.de
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.400 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz ausgebildet. Mit rund 7.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de
Neue Erkenntnisse über Differenzierungsmechanismus von Nervenzellen – Großes diagnostisches und therapeutisches Potential
(Mainz, 07. Januar 2019, ok) Wenn bei Kindern die Entwicklung von neuronalen Vorläuferzellen gestört ist, dann kann das zu Neuroblastomen führen. Dabei handelt es sich um eine bösartige Krebserkrankung des sympathischen Nervensystems. Wie dieser Mechanismus der Zelldifferenzierung funktioniert, konnten Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz gemeinsam mit Kollegen vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) jetzt zeigen. Dabei haben sie auch ein zentrales Proteinmolekül identifiziert, das die neuronale Entwicklung beziehungsweise das Differenzierungsprogramm kontrolliert: PCF11. Ferner fanden sie heraus, dass die Höhe des PCF11-Proteinspiegels den Rückschluss zulässt, wie sich der Verlauf der Neuroblastom-Erkrankung entwickelt. Insofern hat PCF11 bedeutendes diagnostisches und auch therapeutisches Potential. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit wurden in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Neuroblastome zählen zu den Krebserkrankungen des Nervensystems. Meist betreffend sie Kleinkinder bis zum sechsten Lebensjahr. Sie entstehen aus entarteten, beziehungsweise unreifen embryonalen Zellen des sympathischen Nervensystems, das bestimmte Funktionen, wie Herz- und Kreislauf sowie Darm- und Blasentätigkeit steuert. Hierzulande ist das Neuroblastom der häufigste solide Tumor bei Kleinkindern und für etwa 15% aller Krebstodesfälle bei Kindern insgesamt verantwortlich. Zwar war bislang bekannt, dass diese Tumoren aufgrund von fehlregulierten neuronalen Entwicklungen entstehen. Doch erst mit dem jetzt entdeckten Schlüsselregulator, PCF11, ist klar, wie es zu diesen Fehlentwicklungen im Differenzierungsprogramm kommt.
Zu ihren Forschungserkenntnissen gelangten die Forscher unter Leitung von Prof. Dr. Sven Danckwardt vom Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin-Zentrallabor der Universitätsmedizin Mainz, indem sie ein Zellkulturmodell eines Neuroblastoms untersuchten. Sie stellten fest, dass PCF11 in der Embryonalphase maßgeblich die Architektur und Diversifizierung am sogenannten Transkriptom 3´Ende reguliert. Somit stellt PCF11 ein zentrales Molekül dar. Das Transkriptom umfasst die Summe aller zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle transkribierten Gene, das heißt diese werden von der DNA in RNA umgeschrieben. Die Forscher konnten zeigen, dass PCF11 ein Netzwerk an Transkripten reguliert, das die neuronale Differenzierung kontrolliert.
„Im Zuge unserer Forschung konnten wir nachweisen, dass PCF11 während der Embryonalentwicklung herunterreguliert wird. Dies ist essentiell für eine normale, neuronale Entwicklung. Bleibt PCF11 hoch, dann wird das neuronale Differenzierungsprogramm angehalten. Dies hat den Effekt, dass Tumorzellen aus entsprechenden neuronalen Vorläuferzellen entstehen“, sagt Professor Danckwardt.
Diese Erkenntnis birgt Potential: Zum einen lässt sich durch das Herunterregulieren von PCF11 ein therapeutischer Nutzen erzielen indem es dazu beiträgt, die neuronale Differenzierung zu vollenden. Zum anderen konnten Danckwardt und sein Team nachweisen, dass die PCF11-vermittelte Differenzierung über einen Schlüsselregulator in der Signaltransduktion erfolgt (GNB1) und sich dieser im Prinzip relativ einfach therapeutisch manipulieren lässt. Im Kern eignet sich PCF11 aber vor allem auch als Biomarker für die prognostische Abschätzung des Neuroblastoms. So gibt die Höhe des Proteinspiegels Auskunft darüber, wie der Verlauf der Erkrankung ist: Ein hoher PCF11-Spiegel bedeutet ungehemmte embryonale Proliferation, Invasion und Tumorstreuung, was zum Tode führt. Bei einem niedrigen PCF11-Spiegel ist hingegen eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine komplette spontane Tumorregression gegeben, was eine exzellente Prognose darstellt.
„Dieser Marker scheint besser zu sein als alle anderen Marker, die bisher bei Kindern zur Anwendung kommen“, ist Professor Danckwardt überzeugt. „Vor diesem Hintergrund ist es unser Ziel, PCF11 und die durch PCF11 regulierten Transkriptomsignaturen zeitnah als Diagnostikum nutzbar zu machen, um den Verlauf der Erkankung besser vorherzusagen.“
Zudem tragen die Wissenschaftler mit ihren Erkenntnissen zu PCF11 zu der Aufklärung des bislang ungeklärten Phänomens der sogenannten spontanen Tumorregression bei. Es handelt sich dabei um einen bei jünger als zwölf Monate alten Patienten vorkommenden Effekt, bei dem Tumoren spontan und komplett verschwinden.
„Darüber hinaus sind die hier gewonnen Erkenntisse wahrscheinlich hoch-relevant für zahlreiche andere Krankheitsprozesse, wie beispielsweise die Fehlregulation der Blutgerinnung im Rahmen kardiovaskulärer Erkrankungen oder auch der Infektabwehr, da rund 70 Prozent der menschlichen Gene analog reguliert werden“, so Professor Danckwardt. „Mit der Veröffentlichung unseres Beitrages haben wir uns daher auch entschieden eine interaktive Datenbank im Internet freizuschalten. Diese erlaubt es, sich einen transkriptomweiten Überblick über die Fehlregulation von zentralen zellulären Prozessen zu verschaffen, wenn die Organisation der Transkriptomarchitektur schief läuft und schlußendlich krank macht“.
Originalpublikation:
Transcriptome 3'end organization by PCF11 links alternative polyadenylation to formation and neuronal differentiation of neuroblastoma. Ogorodnikov A, Levin M, Tattikota S, Tokalov S, Hoque M, Scherzinger D, Marini F, Poetsch A, Binder H, Macher-Göppinger S, Probst HC, Tian B, Schaefer M, Lackner KJ, Westermann F, Danckwardt S. Nat Commun. 2018 Dec 14;9(1):5331. DOI: 10.1038/s41467-018-07580-5.
Datenbank TREND-DB: shiny.imbei.uni-mainz.de/trend-db/
Bildunterzeile: Neuroblastomtumorzellen vor (links) und nach (rechts) Herunterregulation von PCF11 (der Originalpublikation entnommen)
Verwendung des Fotos kostenfrei unter Angabe der Quelle: AG Danckwardt
Kontakt
Prof. Dr. med. Sven Danckwardt
Institut für Klinische Chemie und
Laboratoriumsmedizin- Zentrallabor
Centrum für Thrombose und Hämostase (CTH)
Universitätsmedizin Mainz
Telefon 06131 17-2632
E-Mail: Sven.Danckwardt@unimedizin-mainz.de
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Oliver Kreft, Unternehmenskommunikation, Universitätsmedizin Mainz, Telefon 06131 17-7424, Fax 06131 17-3496, E-Mail: pr@unimedizin-mainz.de
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.400 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz ausgebildet. Mit rund 7.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de