Menschen, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren, haben als Erwachsene ein erhöhtes Risiko einen hohen Blutdruck und eine Fettstoffwechselstörung zu entwickeln. Darüber hinaus haben sie ein beinahe zweifach erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das ist das Ergebnis der ersten Langzeitstudie, die systematisch die Gesundheit und insbesondere die kardiovaskulären Langzeitfolgen nach einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter klinisch untersucht und mit der deutschen Allgemeinbevölkerung verglichen hat. Die Ergebnisse der Mainzer CVSS-Studie wurden heute im renommierten „European Heart Journal” veröffentlicht.
Im Durchschnitt traten Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen häufiger und früher (6 bzw. 8 Jahre) als in der allgemeinen Bevölkerung auf. Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigten sich bei 4,5 Prozent der Langzeitüberlebenden – in der Mehrzahl bereits bei unter 40-jährigen. Dies ist beinahe acht Jahre früher als in der übrigen Bevölkerung. Um zu diesen Ergebnissen zu gelangen, untersuchten Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz im Rahmen der CVSS-Studie („Cardiac and vascular late sequelae in long-term survivors of childhood cancer“) zwischen Oktober 2013 und Februar 2016 insgesamt 951 Erwachsene, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie führten klinische Untersuchungen durch, erhoben Informationen über die damalige Krebstherapie und befragten die Probanden, ob sie rauchen und ob es in der Familie bereits Herz-Kreislauf-Erkrankungen gab. Die Studienteilnehmer waren zum Zeitpunkt der Untersuchung zwischen 23 und 48 Jahre alt. Deren Untersuchungs-Ergebnisse wurden mit denjenigen von 15.000 Menschen aus der übrigen Bevölkerung verglichen.
Univ.-Prof. Dr. Jörg Faber, Leiter des Kinderonkologischen Zentrums im Universitären Centrum für Tumorerkrankungen (UCT Mainz), einer von drei Studienleitern und Erstautor der heutigen Veröffentlichung, unterstreicht: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass frühere Krebspatienten ein substantiell höheres Risiko haben, schon relativ früh, also im jungen Erwachsenenalter, klassische Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen zu entwickeln.“ Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild, Leiter der Abteilung Präventive Kardiologie und Medizinische Prävention, ebenfalls CVSS-Studienleiter und Seniorautor der Arbeit ergänzt: „Hinzu kommt, dass bei fast 80 Prozent der Betroffenen – nämlich 207 von 269 – erhöhte Fettwerte erst im Rahmen der mit der Studie assoziierten klinischen Untersuchungen festgestellt wurden und zuvor unerkannt geblieben waren.“ Ein ähnliches Bild habe sich bei Bluthochdruck ergeben.
Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse gilt es nun, diese Spätfolgen möglichst zu vermeiden. „Und das ist möglich“, ist Professor Faber überzeugt: „Frühe Screeningprogramme, die insbesondere Bluthochdruck und erhöhte Fettwerte im Fokus haben, sollten fester Bestandteil einer strukturierten Krebsnachsorge werden – unabhängig davon, um welche Krebsart es sich handelt.“ Dass sich aus einem Bluthochdruck eine Herz-Kreislauf-Erkrankung entwickelt, könnte dann frühzeitig etwa durch Umstellung des Lebensstils oder mittels Blutdruck-Medikamenten verhindert werden. Die bisherige Nachsorge erfolgt lediglich für fünf bis zehn Jahre – und zielt hauptsächlich darauf ab, das erneute Auftreten der Krebserkrankung zu vermeiden. Darüber hinaus empfehlen aktuelle Leitlinien regelhafte Herz-Kreislauf-Untersuchungen nur bei ganz bestimmten Tumorarten. „Um eine optimale Nachsorgestrategie zu entwickeln, bedarf es aber noch weiterer Studien“, betont Univ.-Prof. Dr. Maria Blettner, Direktorin des Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), ebenfalls Studienleiterin der CVSS-Studie und Autorin dieser Arbeit.
Auch die genauen Mechanismen, nach denen sich bei ehemaligen Krebspatienten Herz-Kreislauf-Symptome entwickeln, wollen die Forscher nun verstärkt in den Fokus nehmen. Bekannt ist beispielsweise, dass Chemotherapie oder Bestrahlung im Rahmen einer Krebsbehandlung Herzzellen sowie Blutgefäße temporär oder gar dauerhaft schädigen können. Die Vermutung ist, dass hier auch bestimmte genetische Faktoren eine Rolle spielen. „Dies gelte es nun mithilfe detaillierter weiterer Untersuchungen auf der molekularen Ebene näher zu beleuchten“, so die Autoren der Studie.
Über die CVSS Studie
Aufgrund intensiver Forschung in den vergangenen Jahrzehnten liegen die Heilungschancen bei Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter heutzutage bei über 80 Prozent. Allerdings zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass Langzeitüberlebende einer Krebserkrankung ein erhöhtes Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung haben. Um dies genauer zu beleuchten, untersuchten die an der CVSS-Studie beteiligten Wissenschaftler insgesamt knapp 1.000 Erwachsene, die im Zeitraum von 1980 bis 1990 an Krebs erkrankt waren.
Die CVSS-Studie ist ein interdisziplinäres, u.a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt. Sie wird gemeinsam von verschiedenen Einrichtungen der Universitätsmedizin Mainz durchgeführt – geleitet vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin mit seinem Kinderonkologischen Zentrum (Univ.-Prof. Dr. Jörg Faber), dem Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI, Univ.-Prof. Dr. Maria Blettner) und der Abteilung Präventive Kardiologie und Medizinische Prävention am Zentrum für Kardiologie (Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild). Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild ist zudem Principal Investigator im Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und Sprecher des DZHK-Standortes Mainz.
Bisherige Erkenntnisse zu den Spätfolgen von Krebs im Kindes- und Jugendalter speisen sich hauptsächlich aus Daten von Befragungen oder der Untersuchung von kleineren Patientenkohorten. Im Gegensatz dazu führen die Wissenschaftler in der CVSS-Studie ausführliche klinische Untersuchungen durch. Auf Basis dieser Untersuchungen lassen sich auch subklinische – also vom Patienten noch nicht bemerkbare – Erkrankungen erkennen. Für die Durchführung des Projektes nutzen die Wissenschaftler das Studienzentrum und die Logistik der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS).
Originalveröffnetlichung
Burden of cardiovascular risk factors and cardiovascular disease in childhood cancer survivors: data from the German CVSS-study
J. Faber, A. Wingerter, M.A.Neu, N. Henninger, S. Eckerle, T.Münzel,K.J. Lackner, M.E. Beutel, M. Blettner,W. Rathmann, A. Peters, C. Meisinger, B. Linkohr, H. Neuhauser, P. Kaatsch, C. Spix, A. Schneider, H. Merzenich, M. Panova-Noeva, J.H. Prochaska and P.S. Wild
European Heart Journal, ehy026
doi.org/10.1093/eurheartj/ehy026
Pressekontakt
Dr. Renée Dillinger-Reiter, Unternehmenskommunikation Universitätsmedizin Mainz,
Telefon 06131 17-7424, Fax 06131 17-3496, E-Mail: pr@unimedizin-mainz.de
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.400 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz ausgebildet. Mit rund 7.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de